Meilensteine, der wilden Osten und eine besondere Partnerschaft

Peter Weisse und Frank Wenninger, die beiden Geschäftsführer der Tischlerei Weisse KG im Gespräch mit Ina Weisse. Ina Weisse ist Autorin und außerdem die Schwester von Peter Weisse.

2019 hat die Tischlerei Weisse – KG 30-jähriges Jubiläum. Wie fühlt man sich im Rückblick auf eine so lange Zeit?

Frank Wenninger: Im Grunde sind solche Angaben ja oft ungenau. Ich würde eher 1992 als Gründungsdatum ansetzen. Das war der Beginn der Firma Weisse als KG, so wie sie es heute noch gibt.

Peter Weisse: Du meinst, weil Du 92 angefangen hast, mit mir zusammenzuarbeiten?

Frank Wenninger: Mein Einstieg in die Firma war das „Projekt Osten“.

Wie kam es eigentlich dazu?

Peter Weisse: Das hatte viele Gründe. Persönliche und ökonomische. Mit der Tischlerei hab ich ja mal in Berlin ganz klein angefangen. Ich hab dort auch praktisch mitgearbeitet, aber ich fühlte mich ziemlich verloren.

Wegen der Verantwortung?

Peter Weisse: Gar nicht mal so wegen der Verantwortung, sondern mir fehlte der Ansprechpartner. Frank kannte ich noch aus München, über Projekte eines gemeinsamen Freundes haben wir wieder Kontakt bekommen. Und dann haben wir oft stundenlang am Telefon geratscht, einfach so. Daraus entstand bei mir der Wunsch fester zusammen zu arbeiten und schließlich machte ich ihm ein Angebot.

Frank Wenninger: Ich musste darüber nachdenken. Dann griff ich zum Telefon und hörte mich sagen: „Ok, ich komme jetzt.“

Peter Weisse:  Manchmal sind es ja erstaunlicherweise die ersten Sätze, die auch bleiben: „Du kümmerst dich dann um den Einkauf und ich um den Verkauf.“ Das war die erste Vereinbarung, die wir getroffen haben und der Anfang einer ganz besonderen Partnerschaft.

War Berlin zu klein für Euch oder weshalb habt Ihr euch in das Abenteuer Osten gestürzt?

Peter Weisse: Von meiner Ausbildung her bin ich ja Innenausbauer. Möbeltischler und Innenausbau. Die Bautischlerei… kenne ich… kann ich aber nicht besonders gut und wollte ich auch nie machen. Mit ein Grund, warum wir aus Berlin weg gegangen sind, war, dass man die Art von Tischlerei, die ich eigentlich gelernt habe, in Berlin schon damals nicht mehr ausüben konnte. Am Paul-Lincke-Ufer, wo ich ’89 mit der Tischlerei Weisse angefangen habe, hat sich nach der Wende alles verändert. Da haben dann nur noch Lehrer und Rechtsanwälte gewohnt, die uns das Leben schwer gemacht haben.

Frank Wenninger: Bald war klar, dass etwas Neues anstand.

Peter Weisse: Irgendwann habe ich den gordischen Knoten durchhauen und einfach entschieden, jetzt bauen wir im Osten. Das erschien logisch. Über Steuersparmodelle habe ich damals überhaupt noch nicht nachgedacht.

Frank Wenninger: Es ist eine lange Geschichte, wie es am Ende dazu kam, dass wir hier draußen in Eberswalde gelandet sind. Aber ich glaube, dass es gar nicht so untypisch für die damalige Zeit gewesen ist. Wir hatten vor, eventuell einen Treuhandbetrieb zu kaufen. Das hat sich aber bald als Illusion herausgestellt. Anfang der 90er herrschte eine unglaubliche Euphorie über die Chancen, die man angeblich als Unternehmer im Osten hatte. „Blühende Landschaften“ ist das Stichwort. Peters Vater als Vorstandsvorsitzender konnte natürlich rechnen, aber auch er war irgendwie verblendet. Von heute aus betrachtet, war es vollkommen aberwitzig, sich keine Gedanken über die vorhandene Infrastruktur und Standorte zu machen. Nicht jedes Dorf braucht einen Gewerbepark. Aber jeder Dorfbürgermeister war sicher, dass ausgerechnet bei ihm eine Gewerbeansiedlung entstehen würde.

Wenn man hier raus kommt, hat man ja immer noch das Gefühl, man ist ganz weit draußen in der Pampa gelandet?

Frank Wenninger: So denkt nur ein Wessi. Das „Projekt Osten“ war und ist zentral für das Selbstverständnis der Firma.

Peter Weisse: Unser Vater wollte sich in mir etwas verwirklichen, wonach er sich selber gesehnt hat. Und das ist für einen Sohn eine ziemliche Last. Rückwirkend betrachtet, bin ich ihm auf der einen Seite einfach dankbar dafür, dass ich das jetzt alles hier habe. Auf der anderen Seite war das natürlich auch ein gnadenloser Weg.

Gnadenlos?

Frank Wenninger: Na ja. Uns war eigentlich das Projekt am Anfang zu groß.

Peter Weisse: Genau. Gnadenlos für mich war dieses Fehlen einer klaren Strategie oder Linie. Das war einfach ein Kämpfen gegen Windmühlen, das wir hier teilweise geführt haben.

Frank Wenninger: Im Nachhinein hat sich allerdings herausgestellt, dass das Stochern im Nebel auch ein Vorteil sein kann. Einfach mangels Alternativen haben wir uns sehr bald auf die digitale Technik verlegt und schon sehr früh eine CNC Maschine angeschafft. Damals eine kleine Sensation.

Im Grunde wart Ihr also zwei relativ blauäugige Jungs, die mehr oder weniger in das Abenteuer Osten reingeschlittert sind.

Peter Weisse: Ja das kann man vielleicht so sehen, aber es war ,auch eine ganz tolle Zeit, wo immer alles möglich schien.  Es hat natürlich sehr geholfen, dass wir damals Fördergelder bekommen haben, aber die kriegt man auch nicht so einfach nachgeworfen, wenn man nichts vorzuweisen hat. Ich glaube, es waren insgesamt 800 000 DM öffentliche Mittel. Das hört sich natürlich erst einmal gigantisch an…

Frank Wenninger: Für den ersten Bauabschnitt haben wir gar nicht so viel gekriegt. Für den zweiten Abschnitt gab es dann allerdings eine relativ hohe Förderung.  Beim ersten Bauabschnitt stand vor allem der steuerliche Aspekt im Vordergrund. Man konnte halt 50 Prozent sofort abschreiben, den Rest verteilt auf 8 Jahre. Das war das Interessante für alle diejenigen, die gut verdient haben. Das ist ja so in Deutschland. Steuerersparnisse! Juhu, da werden die Augen groß.

[Gelächter.]

Frank Wenninger: Und der Verstand geht gegen Null.

Bitte. Du greifst die Familienehre an.

Frank Wenninger: Ja, das ist so.

Peter Weisse: Sehr gut. Sehr gut.

[Noch mehr Gelächter.]

Frank Wenninger: Schaut zum Beispiel gerade die Medienvertreter an. So viele Promis haben damals in die letzten Schrottimmobilien investiert. Schaut an, was in dieser Zeit passiert ist. Die Deutschen sind halt geplagt von Steuern. Alle wollten Steuerersparnis, also gut…

Ihr wart eben auch nicht anders als die anderen Menschen.

Peter Weisse: Von Anfang an hatten wir zwei ganz unterschiedliche Ansätze, die sich aber sehr gut ergänzt haben. Das hat uns bis jetzt zusammen gehalten. Was wir gerne machen, womit wir uns beschäftigen, hat auf jeden Fall total gepasst.

Du hast gesagt, Du kamst vom Innenausbau?

Peter Weisse: Meine Ausbildung stand quer zu dem, womit man damals hätte sofort groß einsteigen können. Was tatsächlich gebraucht wurde, war ja kein hochwertiger Innenausbau. Sondern die Fensterfirmen und die Türenfirmen konnten sich vor Aufträgen nicht mehr retten.

Was unterscheidet euch von anderen Schreinerbetrieben. Oder anders ausgedrückt, was ist euer Alleinstellungsmerkmal?

Frank Wenninger: So wie wir aufgestellt sind, ist es schwierig ein einzelnes Merkmal herauszugreifen.

Ist das zum Beispiel Eure Ausrüstung, die technische Ausstattung?

Peter Weisse: Die technische Ausstattung allein ist weniger bedeutsam, als man gemeinhin so glaubt.

Frank Wenninger: Ich würde es vielleicht so formulieren. Die Art und Weise wie die einzelnen Bereiche bei uns ineinander spielen, also der Gesamtbetrieb als solches unterscheidet uns von anderen.

Da wollte ich nämlich drauf hinaus. In diesen 30 Jahren, die Ihr hier seid, hat sich ja die gesamte Schreinerarbeitswelt komplett verändert.

Frank Wenninger: Ja, stimmt

Und seid Ihr so etwas wie die Avantgarde hier in der Gegend?

Peter Weisse: Zögernd. Joo.

Frank Wenninger: Wir haben vielleicht in einzelnen Bereichen die Nase vorn, aber nicht unbedingt auf jeder Ebene. Wie gesagt, CNC Technik haben viele Betriebe. Das ist nichts Außergewöhnliches mehr. Wir machen es nur schon relativ lange und sind deshalb sehr erfahren. Was man aber schon auch sehen muss. In der Kombination der einzelnen Stückchen, wie das 3 D Aufmaß, die Zeichnerei und das Programmieren an den CNC Maschinen, da kommt in der Summe schon etwas ganz Spezielles heraus.

Peter Weisse: Was uns wirklich unterscheidet,  ist das ganzheitliche Denken. Das macht uns eben aus. Ursprünglich war das reiner Selbstschutz, weil uns außerordentlich viel daran liegt, unsere Arbeit gewissenhaft auszuführen. Deshalb schauen wir bei unseren Projekten auch mal über Nachbars Zaun und fühlen uns auch für den gesamten Ablauf mitverantwortlich.

Könntet Ihr mal ein Beispiel nennen? Was Ihr besonders gut könnt – so hab ich es jetzt raus gehört – Euch in diesem komplexen Spiel von Bau zu bewegen. Es ist jetzt gar nicht mal unbedingt so, dass Ihr hundert Mal besser arbeitet, als die anderen. Aber Ihr beherrscht das Spiel.

Frank Wenninger: Ich kenne eigentlich kein Bauvorhaben, das wirklich gut strukturiert ist. Das liegt in der Natur der Sache, die immer komplexer wird. Man muss sich nur mal vergegenwärtigen, wie viele Gewerke heute selbst an einem so relativ kleinen Vorhaben wie einem Einfamilienhaus beteiligt sind. Alle wurschteln durcheinander, trotz aller Versuche gegenzusteuern. Das ist die Realität und damit muss man umgehen.

Peter Weisse: Unsere Antwort ist die genaue Planung.

Frank Wenninger: Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, je genauer man plant, desto flexibler ist man. Auch wenn sich das erst einmal paradox anhört.

Peter Weisse: Wenn wir unseren Auftrag erledigen, dann sind wir auf der Baustelle von Anfang an dabei . Auf eine gewisse Art und Weise betreuen wir indirekt auch die anderen Gewerke mit. Sei es über Gespräche, oder durch das Erstellen einer Zeitschiene. Sei es über die Prüfung des bereits Fertiggestellten.

Frank Wenninger: Wir haben einen ganz wunderbaren Begriff: Meilenstein. Diese Meilensteine markieren bestimmte Abschnitte im Verlauf eines Projekts. Zum Beispiel:  Die Planung oder die Freigabe der Planung durch den Architekten. Vorher kann ich ja gar nicht anfangen zu fertigen. Dann der Meilenstein Aufmaß. Wann kann ich die reale Baustelle angucken? Dann weiß ich nämlich, wie groß die Nische wirklich sein wird?

Peter Weisse: Dabei teilen wir uns die Arbeit. Ich bin eher für den praktischen Teil vor Ort verantwortlich, weil das technische Aufmaß ja ohnehin mein Hobby ist. Aber ich muss das Ganze dem Kunden gegenüber ja auch in einen Rahmen packen und das wiederum muss Frank machen.

Was bedeutet das?

Peter Weisse: Frank hat das Vertragliche im Blick und wenn es um Verzugssetzungen oder ähnliche Schwierigkeiten geht, dann ist er dran.

Ach, du bist der Böse?

Frank Wenninger: Nein, nein, die Rolle ist wechselnd.

Peter Weisse: Das stimmt.

Frank Wenninger: Der Bauherr hat ja überhaupt keine Zeit, er möchte am liebsten schon morgen einziehen. Dafür müsste er aber Entscheidungen treffen, die er nicht treffen will, oder noch nicht treffen kann. (Er macht nach, wie der Bauherr bedenklich den Kopf wiegt)

[Wiederum Gelächter]

Peter Weisse: Es ist wirklich so.

Frank Wenninger: Häufig genug musst du die Leute zu jeder Entscheidung drängen. Seit wir mit einem verbindlichen Terminplan arbeiten, können wir uns aber auf Absprachen berufen. Früher bist immer du mit dem Argument angetrieben worden: Ich habe zwar noch keine Entscheidung getroffen, aber ich brauche das Teil trotzdem sofort.

Von dem Druck habt Ihr Euch befreit?

Frank Wenninger: Es gibt Architekten, die fürchten nichts mehr als den Meilenstein „Entscheidung“.

Peter Weisse: Ne, ich glaube, eigentlich lieben sie das. So mancher, will uns unter anderem auch deshalb mit im Boot haben, weil er genau weiß, dass wir den Auftrag zeitlich eng führen. Da brauchen die sich einfach keine Sorgen machen.

Wo liegt eigentlich die große Kreativität? Kommt die nicht zu kurz? Man denkt ja immer, man wird Schreiner, weil man gerne kreativ sein möchte.

Peter Weisse: Das rein Gestalterische hat eher einen geringen Platz.

Frank Wenninger: Die Sachzwänge bewältigen, ist doch schon lustig genug.

Also, das ist für Dich die Herausforderung, es gut zu bewältigen.

Frank Wenninger: Ja, ich glaub schon. Du musst es überhaupt schaffen. Das ist die Herausforderung. Das geht natürlich um Termine, die bestimmten Leistungen unter den gegebenen Umständen zur Verfügung zu stellen. Du hast den Termindruck, das zu wuppen.

Und Du?

Peter Weisse: Was ich wirklich genieße, ist die Tatsache, dass ich mich frei bewegen kann. Ich kann kommen und gehen, wann ich will. Ich kann meinen Tag gestalten, da ist kein Mensch, der mir da Vorschriften macht. Es geht ja um Bereiche, die ich mir selbst geschaffen habe, die mich interessieren und die mir großen Spaß machen. Das ist wirklich toll. Das ist zum Beispiel nach wie vor das Aufmaß, da vergesse ich die Zeit.

Frank Wenninger: Ich glaube nicht, dass sich die Firma anderswo als in Berlin so entwickelt hätte. Das ist schon ein ziemlich offener Markt hier. Wir arbeiten mit international bekannten Architekturbüros. Nicht regelmäßig aber immer wieder und das ging von Anfang an eigentlich recht einfach.

Peter Weisse: Bei uns liegt die Latte sehr hoch, schon deswegen, weil wir mit solchen Architekten zusammenarbeiten. Das ist natürlich jedes Mal eine ziemliche Herausforderung. Würden wir es aber anders machen und nur noch Kartoffelkisten produzieren, wären wir ganz bestimmt nicht glücklich. Wir wären auch nicht die Richtigen dafür. Diese Aufträge kriegen wir ja gar nicht.

Das Segment, in dem Ihr arbeitet, ist schon selbst eine Herausforderung, sich weiter zu entwickeln, ein Grund zur Freude?

Peter Weisse: Es ist Klasse, mit welchen Leuten wir zu tun haben. Wir arbeiten in den Museen, wir arbeiten auf den Chefetagen, wir arbeiten in Anwaltskanzleien, da kommt der Chef zu uns her, „das habt ihr ja wieder super gemacht“. „Ah, Weisse und Co, das läuft ja immer wie ein Länderspiel“ … Also das brauche ich auch. Ich könnte nicht anders. Auch diesen Perfektionismus, der dahinter steht.

Aber Ihr habt euch irgendwann so entschieden, dass Ihr nicht nur Geld verdienen wollt?

Peter Weisse: Ne, natürlich wollen wir unseren Schnitt machen. Uns ist beiden am wohlsten, wenn klar ist, wir sind im grünen Bereich. Dann geht es einem einfach innerlich besser.

Aber nur Kisten bauen, würdet Ihr nicht? Wenn Ihr ganz viel Geld verdienen könntet?

Peter Weisse: Klar haben wir immer wieder herumgesponnen, wie man auf die einfachste Weise Geld verdienen könnte. Ein U zu Beispiel ist die einfachste Material sparendste Grundform für Hocker, Tische, Bänke. Schön monoton und immer dasselbe.

Frank Wenninger: „U’s“ oder Alleebäume ummanteln mit Holz.

Okay, davon träumt Ihr auch?

Peter Weisse: Aber ne, Spaß. Frank und ich wir sind so, wie wir sind und das hängt schon an unserer Persönlichkeit.